TL;DR Zusammenfassung
Google investiert 5 Milliarden Euro in den Ausbau seiner belgischen Rechenzentren – eine der größten Einzelinvestitionen in europäische KI-Infrastruktur. Diese Entscheidung widerlegt das verbreitete Narrativ, europäische Regulierungen würden Tech-Unternehmen vertreiben. Tatsächlich führen DSGVO, KI-Verordnung und Datenschutzanforderungen dazu, dass US-Konzerne massiv in Europa investieren müssen, um den 440-Millionen-Markt zu bedienen. Europa profitiert damit doppelt: Es erhält Investitionen UND behält seine Werte wie Datenschutz und individuelle Freiheit. Allerdings zeigen sich auch Schwächen – insbesondere bei Energie-Infrastruktur und Bürokratie, die den vollen Nutzen dieser Entwicklung begrenzen könnten.
Die Zahlen sprechen für sich: Regulierung sorgt für Investition.
Am 7. Oktober 2025 verkündete Google eine Investition, die aufhorchen lässt: Weitere 5 Milliarden Euro fließen in die nächsten zwei Jahre nach Belgien zur Erweiterung der Cloud- und KI-Infrastruktur. Das Rechenzentrum in Saint-Ghislain, bereits seit 2009 Googles erstes europäisches Datenzentrum, wird massiv ausgebaut.
Die konkreten Auswirkungen:
- 300 neue Vollzeitstellen direkt bei Google
- Schätzungsweise 15.000 indirekte Arbeitsplätze jährlich bei Partnern und Zulieferern
- 110 Megawatt neue Wind- und Solarkapazität durch Partnerschaften mit Eneco, Luminus und Renner
- Kostenlose KI-Trainings für niedrig qualifizierte Arbeitnehmer
Seit 2009 hat Google insgesamt über 11 Milliarden Euro in Belgien investiert und beschäftigt rund 600 Menschen in der Region Hainaut.
Belgien ist kein Einzelfall – Europa wird zum Tech-Investitionsziel
Google steht nicht allein mit dieser Strategie. Microsoft plant eine 40-prozentige Erhöhung der europäischen Rechenzentrumskapazitäten innerhalb von zwei Jahren. Allein 4,3 Milliarden Euro fließen nach Italien, während Deutschland mit mehreren Milliardeninvestitionen bedacht wird.
Auch OpenAI verfolgt eine europäische Expansion – wenn auch mit anderem Ansatz. Statt massiver Infrastrukturinvestitionen setzt das Unternehmen auf strategische Partnerschaften: Die Initiative “Sovereign OpenAI for Germany” gemeinsam mit SAP und Microsoft zielt auf Behörden und Forschungseinrichtungen und soll 2026 starten.
Warum investieren sie trotz – oder gerade wegen – europäischer Regulierung?
Das verbreitete Narrativ lautet: Europäische Regulierung vertreibt Innovation. DSGVO, KI-Verordnung und Datenschutzanforderungen würden Tech-Unternehmen abschrecken und Europa zum digitalen Entwicklungsland machen.
Die Realität zeigt ein anderes Bild.
Der europäische Markt ist zu groß, um ignoriert zu werden
Europa repräsentiert einen Markt von über 440 Millionen Konsumenten mit hoher Kaufkraft. Der europäische Hyperscale-Rechenzentrumsmarkt wuchs von 31,4 Milliarden USD (2023) auf 48 Milliarden USD (2024).
Diese Marktgröße macht europäische Regularien nicht zu einem Hindernis, sondern zu einem Gestaltungsauftrag: Wer diesen Markt bedienen will, muss die Regeln befolgen. Und das bedeutet: Investition in lokale Infrastruktur.
Regulierung schafft Investitionszwang – und damit Arbeitsplätze
Die DSGVO und die neue KI-Verordnung erfordern europäische Datenzentren für compliance-konforme Datenverarbeitung. Microsoft hat hierzu bereits eine EU Data Boundary implementiert, die garantiert, dass Daten europäischer Kunden innerhalb der EU bleiben.
Das bedeutet konkret: US-Konzerne KÖNNEN ihre Services in Europa nicht ohne europäische Infrastruktur anbieten. Sie müssen investieren – in Rechenzentren, in Personal, in lokale Partnerschaften.
Standortfaktoren, die über Regulierung hinausgehen
Die Entscheidung für Belgien basiert auf mehreren strategischen Überlegungen:
Energiezugang und Nachhaltigkeit: Alle großen Tech-Konzerne priorisieren den Zugang zu erneuerbaren Energien. Belgiens Kooperationen mit Stromproduzenten für 110 MW Wind- und Solarkapazität zeigen die Bedeutung nachhaltiger Energielösungen.
Zentrale geografische Lage: Belgien liegt im Herzen Europas mit exzellenter Anbindung an die wichtigsten europäischen Märkte.
Kooperationsbereite Regierung: Die belgische Regierung fördert Innovation und ist offen für internationale Partnerschaften.
Europa gewinnt doppelt – aber nur, wenn die Infrastruktur mitspielt
Die aktuelle Entwicklung zeigt: Europa kann beides haben – seinen Wertekodex UND massive Investitionen aus den USA. Die europäische Regulierung führt nicht zu Abwanderung, sondern zu lokaler Wertschöpfung.
Doch diese positive Entwicklung hat einen entscheidenden Schwachpunkt: die Infrastruktur.
Deutschland als Beispiel für ungenutzte Chancen
Deutschland ist Europas größte Volkswirtschaft mit starker Industriebasis und hoher digitaler Nachfrage. Dennoch fließen die großen Investitionen an Deutschland vorbei – nicht wegen der Regulierung, sondern trotz günstiger Rahmenbedingungen.
Das Energie-Problem: Die Stromversorgung für Rechenzentren ist kritisch geworden. Wartezeiten für Netzanschlüsse können bis zu 7 Jahre betragen. Der Rhein-Main-Bereich ist bereits am Limit.
Die Kapazitätslücke: Deutschland droht eine 50-prozentige Unterversorgung mit KI-Rechenzentrumskapazitäten bis 2030. Laut Deloitte-Studie fehlen 60 Milliarden Euro für ausreichende Infrastruktur.
Bürokratie als Bremse: Während die Regulierung selbst Investitionen anzieht, bremsen bürokratische Prozesse die Umsetzung. Junge Unternehmen verbringen durchschnittlich 9 Stunden pro Woche mit administrativen Aufgaben. Die Bürokratiekosten summieren sich auf bis zu 146 Milliarden Euro jährlich.
Was das für den Standort bedeutet
Die Ironie liegt darin: Europa hat die Regulierung, die Investitionen erzwingt – aber manchmal fehlt die Infrastruktur, diese Investitionen aufzunehmen.
Belgien zeigt, dass es funktionieren kann. Das Land hat:
- Verfügbare Energiekapazitäten
- Schnelle Genehmigungsverfahren
- Pragmatische Zusammenarbeit zwischen Regierung und Wirtschaft
Deutschland hingegen kämpft mit strukturellen Defiziten, die nicht aus der Regulierung resultieren, sondern aus jahrzehntelanger Vernachlässigung digitaler Infrastruktur.
Das Narrativ neu denken
Die Diskussion über europäische Regulierung muss differenzierter geführt werden.
Was die Zahlen zeigen:
- Europäische Datenschutz- und KI-Regulierung vertreibt keine Investitionen
- Im Gegenteil: Sie zwingt globale Tech-Konzerne, in Europa zu investieren
- Europa sichert damit Arbeitsplätze, Wertschöpfung und technologische Souveränität
Was die Herausforderung ist:
- Nicht die Regulierung selbst, sondern fehlende Energie-Infrastruktur
- Nicht Datenschutzanforderungen, sondern bürokratische Genehmigungsprozesse
- Nicht die KI-Verordnung, sondern langsame Umsetzung von Infrastrukturprojekten
Was das bedeutet:
Europa braucht keine Deregulierung, um wettbewerbsfähig zu sein. Es braucht bessere Infrastruktur, schnellere Genehmigungsverfahren und strategische Energiepolitik.
Ein Blick nach vorn
Die Investitionen von Google, Microsoft und anderen zeigen: Europa ist kein Verlierer der digitalen Transformation. Im Gegenteil – europäische Werte wie Datenschutz, individuelle Freiheit und demokratische Kontrolle führen dazu, dass globale Konzerne hier investieren MÜSSEN, wenn sie diesen Markt bedienen wollen.
Die Frage ist nicht, ob Europa wettbewerbsfähig sein kann. Die Frage ist, ob Europa die Infrastruktur schafft, um die Investitionen aufzunehmen, die bereits fließen.
Belgien zeigt: Es ist möglich. Deutschland zeigt: Es gibt noch viel zu tun.
Die europäische Regulierung ist nicht das Problem. Sie ist Teil der Lösung – wenn die Infrastruktur folgt. Und dagibt es noch einiges zu tun …
